Fritz und Spitz

Fritz und Spitz

Was willst du, mein liebes Spitzchen,
So früh schon, da kaum ich erwacht?
Willst du mir vielleicht erzählen,
Was du geträumt diese Nacht?

Was legst du so lieb und traulich
Mir auf die Schulter den Fuß?
Ach so! Jetzt weiß ich’s, du bringest
Mir deinen Morgengruß.

Nun guten Morgen, mein Lieber!
Hast gut du geschlafen auch, he?
Will schnell in die Kleider nur fahren,
Dann gehn wir zum Morgenkaffee.

So recht, so recht, mein Spitzchen,
Wenn du was Gutes begehrst,
Mußt du fein „schöne machen“
Und auch hübsch bitten vorerst.

Nun hier, da hast du den Bissen,
Die Semmel ist frisch und weich;
Und seh ich, wie dir sie mundet,
Dann schmeckt sie auch mir zugleich.

Bekommt auch noch, zum Lohne,
Ein Stückchen Zucker darein;
Gern hätt ich’s zwar selbst gegessen,
Doch alles was mein, ist auch dein!

Was spitzelst so steif du die Ohren
Und schaust mich so fragend an?
Weißt doch, wenn neun es geschlagen,
Dann geht meine Schule an.

Ade drum, mein liebes Spitzchen,
Du thust mir von Herzen leid,
Daß ich so allein dich muß lassen,
Ohn‘ jeglichen Zeitvertreib.

Ich will auch recht fleißig lernen
Mit Auge und Hand und Ohr,
Damit ich bald lesen lerne,
Dann les‘ ich Geschichten dir vor.

Da wollt ich nun heute schreiben
Recht fleißig an meinem Pult,
Und nun das Unglück! O Jammer!
Und ich bin doch gar nicht dran schuld.

Was wird Mama dazu sagen?
Und der Lehrer? Da setzt es etwas!
Warum auch ist’s umgefallen,
Das abscheuliche Tintenfaß!

Nur gut, daß du, mein Spitzchen,
Noch Mitleid mit mir hast,
Ja, sieh mich nur an, ich möcht weinen
Mich heute zu Tode fast.

Du weißt ja, daß über dein Bellen
Und Springen ich stets mich freu‘,
Doch darfst du’s zu arg nicht treiben,
Sonst machst du mein Böckchen scheu.

Ist’s einmal dann wild geworden,
Dann geht’s mit uns beiden durch
Und fegt über Stock und Steine,
Ueber Accker, Gräben und Furch‘.

Und kämen wir unter die Räder,
Wir brächen gleich Hals und Bein‘;
Setz lieber dich in den Wagen,
Nur laß mir das Bellen sein.

Lang‘ hat sich mit Rechnen und Schreiben
klein Fritzchen gemüht und geplagt,
Da ist es endlich entschlummert,
Ohn‘ daß es „gute Nacht“ gesagt.

Kaum hat dies Freund Spitzchen gesehen,
Begiebt auch er sich zur Ruh‘,
Streckt leise sich auf sein Kissen
Und drückt seine Augen zu.

So schlafen die beiden Freunde
Um die Wette, wie man so spricht.
Wie lange beide geschlafen,
Das weiß ich nun freilich nicht.

Franz Wiedemann 1881

Über den Autor

Franz Wiedemann

Franz Wiedemann (1821-1882) war ein deutscher Pädagoge und Schriftsteller, der vor allem für seine volkstümlichen Lieder und Gedichte bekannt ist. Als Lehrer in Sachsen schuf er zahlreiche Texte für Kinder, die sich durch ihre einfache Sprache und oft lehrreiche Inhalte auszeichnen. Viele seiner Lieder wurden in Schullesebüchern verbreitet und prägten Generationen. Eines seiner bekanntesten Werke ist der Text zum populären Kinderlied „Hänschen klein„.


Aus dem Buch:

Fritz und Spitz, Franz Wiedemann, 1881, Verlag C. Schwager, Dresden

Illustratoren: M. Scherer und H. Engler

Zur Verfügung gestellt von der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/



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