Der Spitz.
Canis domesticus, pomeranus.
Der Spitz ist derjenige Glückliche von allen Hundearten, über dessen Herkunft und Wesen die meisten Herren, denen man ein sachverständiges Urtheil zutrauen darf, einig sind.
Sehe ich auch hier ganz ab von den verschiedenen Spitzarten von dem Heiden-Spitz (Canis domesticus Zingarorum audax) dem Doggen-Spitz (Canis domesticus Zingarorum vertagus), und dem Windhund-Spitz (Canis domesticus Zingarorum leporarius), wie sie der Herr Dr. Leopold Fitzinger in seinem neuestem Werke: „Der Hund und seine Rassen ec.“ uns vorführt und denke nur an unseren allbekannten Haus- oder Fuhrmannspitz (canis domesticus pomeranus), so finde ich, daß Prof. Reichenbach, Fr. Robert, Prof. H. Weiß (annähernd) Oberförster A. Müller (und nach ihnen viele Andere) der Ansicht sind, daß der Spitz der eigentliche Urhund oder der Hund sei, welcher, da er den wilden Verwandten unseres Haushundes in seinem ganzen Habitus am ähnlichsten sei, den Urtypus des Hundes bis heutigen Tages am treuesten bewahrt habe. Prof. Reichenbach fragt: „Die aufrecht stehenden Ohren verbinden ihn innig mit den wilden Arten der Gattung; denn als Produkt der ferneren Kultur sehen wir, wie das Behänge oder hängende Ohr bei allen, wenn sie weiter von jenem Vorbilde sich entfernt haben, vorwaltet, – bei Verwilderung wird dagegen das Ohr wieder gerade.“ Nach den verschiedenen Fuchs-, Wolfs- und Schakalarten läßt Prof. Reichenbach den neuholländischen wilden Hund, den Dingo mit aufrecht stehenden Ohren (canis Dingo) folgen, und gleich nach diesem bilden unter den gezähmten Hunden die Spitzhunde (canis familiarius orthotus. – Chien loup. – Wolf-Dog) die natürliche Fortsetzung.
Klimatische Verhältnisse, Verwendungsweise, Verpaarungen aller Art haben natürlich auch hier Produkte hervorgebracht, die bezüglich ihrer Größenverhältnisse, ihrer Färbung und Behaarung ec. außerordentlich von einander verschieden sind; – der Haupttypus aber, das aufrechtstehende Ohr, die breite, hohe Stirn mit der schmalen gedrückten Schnauze, der meist nach links getragene, spiralförmig gerollte Schwanz, das auffällig lebhafte, jederzeit muntere wache Wesen, das sich in stetem Mißtrauen, in großer Reizbarkeit, Kläfferei und Bissigkeit zeigt, ist diesen Spitzabkömmlingen unverkennbar eigen geblieben.

Die uns bekannteste Species ist sicher der sogenannte Pommer
(canis pomeranus. – Le chien pomérien. – The pomerian. – Wolf-Dog. – Varghund. – Ulvidus Unglidur),
ein Spitzer nach altem Schrot und Korn, ein Grimmbart, wie er reizbarer und empfindlicher nicht gedacht werden kann. Zu der Zeit, als das Frachtfuhrwerk noch in voller Blüthe stand, als die Straßen und Chausseen von schweren, mit Kisten und Ballen, hoch und breit beladenen, sorglich grau oder weiß beplanten Wagen belebt und zerfahren wurden, deren riesige, theure und werthvolle Last von 4-6 kräftigen scheckigen Hengsten im vollen Staate der Lastpferde, angethan mit Sattel, Messingzeug und hohen Spitzkummeten, an deren Handseiten rothwollene Tuchlappen oder Wildschweinsfell hingen, mühselig daher geschleppt wurden, als derartiger Gütertransport in Flor stand, da war die Glanzperiode unseres Spitzpommers. Sah man ein derartiges Gefährt eisen- und kettenklirrend, knarrend und ächzend auf der staubigen, holprigen Landstraße im Schneckenschritt sich daher wälzen, so konnte man sicher sein, eines Spitzers seine kläffende Stimme zu hören, die im Zorne und in der Bosheit oftmals überschnappte und heiser zu werden drohte. Trotz alles Rasselns und Prasselns, das der Kauffartheifahrer auf dem oft bodenlosen Wege hervorrief, hatte der feinhörige Spitz in seiner Schooßkelle neben dem schlummernden blaublousigen Fuhrknechte oder in seinem unter dem Wagen hängenden Schiffe, weichgebettet in dem Heuvorrath, hervorlugend unter allerlei Hacken, Ketten, Unterwürfen, Schleifzeugen, Winden oder Hemmschuhen die nahenden Tritte des Fremdlings erkannt und seinem Herrn rechtzeitig die lebhafteste Meldung gemacht. Mit einer Wachsamkeit begabt, wie sie penibler bei keiner anderen Hunderace zu finden ist, war er für das Leben und Treiben, welches das frühere Fuhrwesen mit sich brachte, wie geschaffen; mit dem Knechte und seinen Pferden war er vollständig verwachsen. War der Knecht munter, dann schlummerte Meister Spitz, schlief der Knecht, ermattet von des Tages Mühen und gedrückt von der Sonnengluth, die sich in der Mittagszeit doppelt fühlbar auf das langsam dahin bewegende Gefährt legte, dann war der Spitz sicher auf seinem Wachtposten. Entweder, saß er spähend und lauschend bei seinem Herrn, in der Schooßkelle, oder er lief patrouillirend unter der Plane, geschickt über Kisten und Kasten weg springend, perpetuirlich im Wagen hinter und vor, oder er trollte, den
Vorreiter bildend, vor den Pferden her, dieselben durch munteres Gebell oder durch öfteres Anspringen zu flotterem Tempo anregend. Und wie geschickt wußte er seine Untergebenen, denn dafür sah er die Pferde an, in kritischen Fällen zu leiten, sie zum Ausweichen zu veranlassen oder vor Fehltritten zu warnen. Er dirigirte mit außerordentlichem Ueberblick, mit größter Ruhe und Sicherheit und mit höchst lobenswerther Unermüdlichkeit und Ausdauer den ganzen Zug, so daß der Fuhrknecht sich ruhig dem Halbschlummer überlassen konnte. Sein Gespann war in besten Händen.

Kam man an eine Kneipe oder an ein gastliches Wirthshaus, so hätte man meinen sollen, der Spitzer würde endlich ermattet ein schattiges Plätzchen aussuchen und behaglich, alle Viere von sich gestreckt, sich süßem Schlummer oder ersehnter Ruhe hingeben, dem war aber nicht so. Während drin in der niedrigen, dunstigen und verräucherten Gaststube der Knecht auf plumpem Holzschemel oder auf hochlehniger, rother Ofenbank sein Butter- oder Käsebrod verzehrte und sich bei Schnaps oder einem Trunke Dünnbier labte, lagerte der brave Spitzer als unbestechlicher zuverlässiger Wächter unterm Wagen, alles mit Polizeiblick fixirend und höchst malitiös ankläffend, was sich dem Wagen näherte. Weder vorgeworfene Leckerbissen, noch das muntere Spiel der heranwachsenden Dorfhunde konnten seine Gewissenhaftigkeit wankend machen oder ihn gar von seinem Posten verlocken.
Und was war dafür sein Lohn? Ein trockenes Stück Schwarzbrot, ein hartes Stückchen verschimmelter Käse oder im günstigsten Falle ein kleiner Wurstzipfel, das waren die Leckerbissen, die er schweifwedelnd und dankbar die Hand leckend, von seinem Herrn empfing und mit gesundem Appetit verzehrte. Bescheiden, zufrieden und anspruchlos, ja das war der Spitz in vollkommen mustergiltiger Weise. Deßhalb war auch er gerade geeignet, ohne mißmuthig oder gar krank zu werden, Strapazen zu ertragen und dem Wetter zu trotzen, wie es kein anderer Hund vermochte. Der ächte Pommer war aber auch ein sehr strammer, kerniger Bursche. Bei einer Rückenhöhe von 1 1/5 – 2 Fuß (entspricht 42,97 – 57,30 cm 1) hatte er eine auffällig breite, kräftige Brust und einen merkwürdig kurzen, gedrungenen Bau, so daß es fast sonderbar erschien, den im Ganzen massigen Körper auf so zierliche Füßchen gestellt zu sehen. Sein außerordentlich dicht mit Unterwolle gemischtes, am Vorderkörper spannenlanges, etwas starr und borstig abstehendes Haar fiel nach hinten ab und ließ das Hintertheil fast geschoren erscheinen, brachte aber auch den reich behaarten, stark nach links übergeringelten Federschweif zur richtigen Geltung.
War er von pechschwarzer Farbe, so sah er martialisch aus, war er gelblich, dann glich er einem Löwen en miniature.
So gewöhnlich er früher als zuverlässiger Wächter und Begleiter bei Pferd und Wagen war, so beliebt und allgemein verbreitet war er auch, namentlich auf dem Lande, als Hüter für Haus und Hof, Hab und Gut. Die Kette oder Hütte liebte er freilich nicht, ungebunden und frei mußte er sein Terrain durchstreifen können, vom Keller bis zum Dachboden, aus dem Stalle bis in die umliegenden Scheuern oder an stoßenden Gärten mußte er seine Schritte lenken dürfen, ganz nach Gutdünken sich die Thürschwelle, eine Treppenstufe oder den Misthaufen als Lagerstätte wählen können. Dann fühlte er sich wohl, dann war er am Platze.
Ließ er sich in der Jugend auch zu manchen dummen Streichen herbei, ja sogar zu mancher Näscherei und Dieberei im Milchkeller oder am Eiervorrathe, oder erbiß er gar in tollem Uebermuthe ein Entchen oder ein Küchlein, so machte er eben keine Ausnahme von anderen Hunden seines Alters. Nachdem ihm jedoch durch einige fühlbare Lectionen die Begriffe von Recht und Unrecht nachdrücklich beigebracht waren, wich er schwer von dem vorgezeichneten Pfade der Tugend wieder ab. Er entwickelte sich vielmehr ohne alle Dressur mit dem zunehmenden Alter schnell und sicher zu einem gesetzten, aufrichtigen, selbstlosen, aufopfernden Hausgenossen und Hausfreunde, wie er zuverlässiger, wachsam über bewegliches wie unbewegliches Besitzthum, liebreicher und entgegenkommender gegen die hergehörige Kinderschaar – feindseliger und gefährlicher gegen alles Fremde oder gegen Eindringlinge nicht gewünscht werden kann. Und alle diese Tugenden waren ihm angeboren, nicht anerzogen oder angepeitscht. Freiwillig und ohne Rücksicht darauf, ob er belobt wurde oder ob sein Eifer unerkannt blieb, verrichtete er unaufgefordert und unverbrossen seinen Dienst Tags und Nachts, bei gutem wie bei schlechtem Wetter. Der Spitzer war mit einem Worte ein kreuzbraver Kerl, ein Juwel, der von dem Bauer und Grundbesitzer kaum genug geschätzt werden konnte, ein Erbstück aus alter Zeit, das man nicht genug ehren konnte.
Die alte Zeit ist freilich vergangen und es ist Alles neu geworden. Dies hat auch das Geschlecht des edlen Spitzers erfahren. Von andern modernen Hunden in den Hintergrund gedrängt, sieht man jetzt selten noch einen ächten braven Spitzer. In Norddeutschland hat wohl noch mancher Mühlenbesizer Vorliebe und gewisse Pietät für solch interessanten Burschen und läßt seinen nach der Stadt fahrenden Mehlwagen von einem weißen oder blaßgelben Spitzer begleiten, in Süddeutschland findet man ihn wohl noch vielfach in Guts- oder Bauerhöfen, seine eigentliche Blüthezeit ist aber vorüber. Bei Pferd und Wagen sind die an Ohr und Schwanz verstümmelten rauh- oder glatthaarigen Pinscher beliebt geworden und in Gehöften haben Hunde größerer Racen, wie dänische Doggen, Newfundländer oder Bernhardiner, „auf den Mann dressirte Thiere“ Platz gefunden. Einer förmlichen Dressur ließ sich allerdings der urwüchsige Spitzer schwer unterwerfen, obwohl die hohe breite Stirn, das große, intelligente Auge und seine lebhafte Ohrenmimik recht gute Befähigung und leichte Bildungsfähigkeit vermuthen ließen. Er mochte darin eine Beeinträchtigung seiner Freiheit erblicken. Gewisser Stolz und ausgeprägtes Ehrgefühl ließen ihn überhaupt nie dazu kommen, den Speichellecker, den Spaßmacher oder den Salonhund zu spielen, dazu war seine Außenseite zu rauh, sein Eigenwesen zu selbstständig.
Es ging dies sogar soweit, daß er bei verdienter Züchtigung nicht etwa demüthig pater peccavi 2 machte, sondern ganz erbost nach der Knute biß und sich seiner Haut bestmöglich wehrte. Kleine Kröten sind eben in der That oft giftig.
Gefunden habe ich mehrfach, daß Spitzer, so sehr sie sich auch ihrem Herrn anschlossen, mit merkwürdiger Energie, ähnlich wie es bei Katzen vorkommt, an dem Grundstücke oder an anvertrautem Eigenthume hingen. Sehr schwer wurde es ihm, das Gehöft, worin er aufgewachsen war und worin er jeden Winkel kannte, mit einem andern zu vertauschen. Mehrere schwarze Spitzer, welche ich im Alter von 1-2 Jahren gekauft hatte, gewöhnten sich deshalb auch trotz aller guten Pflege und freundlichen Behandlung sehr schwer bei mir ein. Monate lang benützten sie jede Gelegenheit zu fliehen; sie scheuten sich sogar im Winter nicht, einen breiten, tiefen Fluß zu durchschwimmen, um zu entkommen. Bei allen Fluchtversuchen entwickelten sie überdies eine Schlauheit und List, wie sie dem Fuchse zur Ehre gereicht hätte. Sahen sie sich entdeckt, so zeigten sie eine Fertigkeit und Dauer im Lauf, dass ich trotz des Aergers über ihr Davonlaufen die Burschen bewunderte. Als sie über Jahr und Tag bei mir waren, habe ich oder hat mein Grundstück anhänglichere Hunde nicht gesehen. Sie hatten sich in’s Unvermeidliche endlich gefügt.
Komme ich schließlich auf die specielle Verwandtschaft unseres Spitzers, so ist dieselbe eine ziemlich große und weit verbreitete. Es gehören Hundearten hierher, die durch Größe und Figur respecteinflößend sind, deren Verwendbarkeit und Brauchbarkeit von hohem Werthe ist. Was wäre z. B. ein Schäfer ohne Schäferhund? – Und der Schäferhund (canis pecuaris) mit seinen mannichfachen Varietäten, glatt und langhaarig, gehört in erster Reihe zu den Spitzhunden.
Quellenangabe:
Kynosophie; oder Vollständiges Handbuch für jeden Hundeliebhaber enthaltend des Hundes Raceeigenthümlichkeit und Raceverschiedenheit, seine Aufzucht, Pflege, Erziehung und Dressur, sowie besonders seine Behandlung in Krankheitsfällen.
Heinrich Theodor Hering, Stuttgart, Verlag von Schickhardt & Ebner, 1876

- Allgemeine Längenmaße in Württemberg gültig von 1557 bis 1871 ↩︎
- pater peccavi machen = flehentlich um Verzeihung bitten ↩︎