Die beiden Hunde von Joachim Heinrich Campe (1805)

Fabel: „Spitz, der gutherzige, und Spatz, der neidische“

Die nachfolgende Fabel „Die beiden Hunde“ von Joachim Heinrich Campe, veröffentlicht in seiner „Kleinen Kinderbibliothek“ im Jahr 1805, illustriert auf didaktische Weise die moralischen Gegensätze von Gutherzigkeit und Neid. Sie richtet sich explizit an ein junges Publikum und nutzt die Personifikation zweier Hunde, um die Konsequenzen unterschiedlicher Charakterzüge zu verdeutlichen. Die Erzählung ist tief in der Aufklärungspädagogik verwurzelt, die darauf abzielte, Kindern durch leicht verständliche Geschichten ethische Prinzipien und wünschenswerte Verhaltensweisen zu vermitteln. Die Fabel dient somit nicht nur der Unterhaltung, sondern primär der moralischen Belehrung und der Formung des kindlichen Charakters nach den Idealen jener Zeit.

Die Fabel thematisiert den Gegensatz zwischen dem gutherzigen Hofhund Spitz und dem neidischen Schoßhund Spatz, die demselben Herrn dienen. Während Spitz sich über die Gunst des Herrn für Spatz freut, reagiert Spatz auf jede Zuneigung für Spitz mit Knurren und Aggression… Die Moral der Geschichte ist die Warnung, dass Neid selbstzerstörerisch ist, während Gutherzigkeit belohnt wird.

Federzeichnung von einem Spitz und einem Schnauzer unter dem Tisch
Spitz und Spatz

Die beiden Hunde

Spitz, der gutherzige, und Spatz, der neidische. Zwei Hunde dienten einem Herrn, aber sie waren von ungleicher Gemüthsart. Spitz, der Hofhund, war gutwillig und freundlich; Spatz aber, der Schooshund, unfreundlich und neidisch.

Spitz konnte sich recht herzlich freuen, wenn sein Herr dem Spatz liebkosete; aber Spatz fing allemahl an zu knurren, so oft sein armer Hausfreund es wagte, zu des Herrn Füßen auf allen Vieren hinzufriechen, um ihm auch eine Liebkosung abzugewinnen.
Kriegte Spatz ein Stückchen Fleisch, so wedelte Spitz mit dem Schwanze, und freuete sich so sehr darüber, als wenn er’s selbst gekriegt hätte.
Wurde hingegen Spitzen einmahl ein Knochen zugeworfen: so fing der Spatz ein Gesschrei an, als wenn das Haus im Feuer stünde; da denn der gutherzige Spitz den Knochen gemeiniglich im Stiche ließ, und, um Zank zu vermeiden, nach seiner Hütte schlich. Dem Herrn, der dis einigemahl bemerkt hatte, wollte das gar nicht gefallen an dem Spatz.

Eines Tages, da er bei Tische saß, warf er zu gleicher Zeit beiden etwas vor, dem Spatz ein Stück Fleisch und dem Spitz einen Knochen.
Kaum sah der neidische Spatz, daß sein Gefährte auch was gekriegt hatte, als er sein Fleisch unwillig hinwarf, und auf Spitzen zusprang, um ihm den Knochen wegzunehmen. Dieser ließ es geschehen, und wollte schon wieder nach seiner Hütte gehn. Aber der Herr rief ihn zurück, gab ihm das Stück Fleisch, welches Spatz hingeworfen hatte, und fragte: „Friß, mein guter Hund; es ist billig, daß du dis bekommest, weil dir jenes genommen ist.“ Spatz machte große Augen. „Und, fuhr der Herr fort, weil du so gutherzig und nachgebend, der da aber so neidisch und unfreundlich ist: So sollst du künftig Haushund und jener Hofhund sein.“ „Fort mit ihm, an die Kette!“ Gesagt, gethan. Der Spatz wurde angekettet, und Spitz im im Hause.

Da sah man nun recht, was für ein Unterschied zwischen einem guten und bösen Herzen ist. So oft der gute Spitz einen Leckerbissen kriegte, entzog er ihn seinem eigenen Munde, und brachte ihn zu Spatzens Hütte, wedelte mit dem Schwanze, und nöthigte ihn, davon zu essen. Auch erbot er sich von freien Stücken, ihm des Nachts Gesellschaft zu leisten in seiner Hütte, und ihn zu wärmen, daß er nicht frieren möchte. Aber der neidische und tückische Spatz wollte nichts anrühren von dem, was er ihm brachte, und wies sein freundliches Anerbieten mit Knurren ab.

Was geschah? Neid und Aerger über Spitzens Glück zogen ihm die Auszehrung zu, an der er sterben mußte.


Kupferstich Joachim Heinrich Campe (1746-1818), Künstler: F. Müller
J. H. Campe – Kupferstich von F. Müller

Über den Autor

Joachim Heinrich Campe (1746-1818) war eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Aufklärung und ein einflussreicher Pädagoge, Schriftsteller und Verleger des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Geboren 1746, studierte er in Halle Theologie und Philosophie und ließ sich stark von den philanthropistischen Ideen Jean-Jacques Rousseaus zur natürlichen Erziehung inspirieren. Er unterrichtete kurzzeitig am berühmten Philanthropinum in Dessau und wurde später zum wichtigsten Wegbereiter der modernen Jugendliteratur in Deutschland. Im Jahr 1787 gründete Campe seine eigene Verlagsbuchhandlung in Braunschweig, die sich auf didaktische Literatur spezialisierte. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Adaption „Robinson der Jüngere“ und seine umfangreiche „Kleine Kinderbibliothek“, welche der moralischen und rationalen Bildung von Kindern diente. Darüber hinaus engagierte er sich im Sprachpurismus und veröffentlichte ein Wörterbuch zur Verdeutschung von Fremdwörtern. Campe prägte die Pädagogik und die Entwicklung der Kinder- und Jugendlektüre in der Zeit der Aufklärung maßgeblich.


Quellenangaben:

Kleine Kinderbibliothek, Joachim Heinrich Campe, Braunschweig, 1805



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