Der Spitz nach Silvester Frey (1909)

Der Spitz.

Eigentlich sollte ich geradewegs sagen: der deutsche Spitz. Denn die Rasse, wie sie sich zurzeit dem Auge des Kulturmenschen bietet, verdient diese Bezeichnung ohne jeden Zweifel.

Weißer Spitzrüde Buby v. d. Bliesbrück
Weißer Spitzrüde Buby v. d. Bliesbrück

Zum mindesten jedoch darf man den Varietäten, die augenblicklich auf deutschem Boden angetroffen werden, die Behauptung aufstellen, daß sie seit urdenklicher Zeit her hier autochthon sein dürften. Wo die eigentliche Heimat der großen Spitzfamilie in ihrer Gesamheit zu suchen sei, das unwiderlegbar nachzuweisen, wird der Wissenschaft wohl schwerlich je gelingen.

Wolfspitzhündin Hella v. Linden
Wolfspitzhündin Hella v. Linden

Ich neige mich zu der Ansicht, daß der Spitz ursprünglich der nördlichen Zone angehört habe. Funde aus phähistorischer Zeit, die in südlicheren Breitegraden an das Tageslicht befördert wurden, Abbildungen plastischer Art, die aus der Epoche der Pharaonen oder der althellenischen Vergangen her auf uns kamen, vermögen die betreffende Ueberzeugung kaum wesentlich zu erschüttern.

Wolfsspitzrüde Sieger Flock v. Hansahaus
Wolfsspitzrüde Sieger Flock v. Hansahaus

Man stößt auf Spitzvarietäten selbst heute noch bei Völkern, die einer stark gemäßigten oder sogar schon entschieden südlichen Zone angehören.

Wolfsspitzrüde Rinaldo zum Busch
Wolfsspitzrüde Rinaldo zum Busch

Allein dann kam eben der Hund zu ihnen auf den altehrwürdigen Pfaden der Kultur oder durch die Laune des Zufalls. Dahin rechne ich vor allem die Erscheinung, daß man auf Sumatra und überhaupt auf polynesischen Inseln bei den Eingeborenen wiederholt Spitze antraf. Wenn Italien heute zahlreiche und, wie sich durchaus nicht leugnen läßt, sehr schmucke Varietäten dieser Rasse aufweist, so darf man sich ganz und gar nicht darüber wundern. Ein weit vorgeschrittenes Kulturvolk, wie es die alten Römer waren, mußte eben an dem Spitz seine helle Freude haben; mußte ihn wegen seiner offensichtlichen Vorzüge hegen und pflegen, ziehen und züchten. Ueberdies unterhielt ja Italien ununterbrochen die regsten Beziehungen über die Alpen hinweg zu seinem deutschen Nachbar.

Weißer Spitzrüde Seppl v. d. Salzach
Weißer Spitzrüde Seppl v. d. Salzach

Was Wunder, wenn somit eine stete Zufuhr von Hunden dieser Rasse dorthin stattfand! Ich erwähne all dies deswegen so ausdrücklich, weil das Land der Zitronen und Goldorangen für sich gern den Ruhm in Anspruch nehmen möchte, die Heimat auch der deutschen Spitzarten zu sein. Ein Ruhm, in den wir jedoch ganz und gar nicht zu willigen brauchen, weil für uns auch nicht der mindeste Anlaß vorliegt, unsere eigenen Rechte so ohne weiteres preizugeben.

Was die Verteilung der verschiedenen Varietäten über Deutschland hin betrifft, so gilt als Heimat der weißfarbigen der Norden, zumal Pommern. Schon vor länger als zwei Jahrhunderten war allgemein bekannt, daß man hier ausgezeichnet schöne völlig weiße Exemplare finden könne. Damals dürfte wahrscheinlich John Bull hier Einkäufe gemacht haben, denn es ist bestimmt kein Zufall, daß der Spitz bei ihm „Pomerian“ heißt. Und zwar nicht nur der weiße, sondern der Spitz überhaupt.

Schwarzer Spitzrüde Sieger Momo v. d. Elster
Schwarzer Spitzrüde Sieger Momo v. d. Elster

Aehnlich nennt in der Franzose „chien pomérien“. Doch sogar auf deutschem Boden spricht man, wenn der Spitz genannt ist, oftmals schlechthin vom „Pommer“. Vor allem scheint dies im Schwäbischen der Fall zu sein. Dagegen ist Württemberg sicher nicht ohne Berechtigung als Heimat oder doch vorzugsweiser Aufenthalt der schwarzen Varietät anzusehen, die dort wieder allgemein „Spitzer“ genannt wird. Außerdem hat sich der Süden bestimmt schon frühzeitig um die Zucht der Toy-Varietät verdient gemacht, wie man ja auch noch heute an den Ufern des Neckars ganz ausgezeichnet schöne Exemplare dieser Varietät zu sehen bekommt.

6 Wochen alter Wurf weißer Spitze aus Zwinger "Wissmannia"
6 Wochen alter Wurf weißer Spitze aus Zwinger „Wissmannia“

Der Wolfsspitz dagegen, größer als die übrigen Varietäten und steckend in seinem charakteristischen wolfsgrauen Kleide, soll vorwiegend am Rhein zu Hause sein. Heute, wo die Kynologie so rege Fäden von einem Gau Deutschlands zum anderen spinnt, dürfte man wohl von so engbegrentzen Gebieten für jeden dieser Farbschläge kaum mehr sprechen dürfen. Vielmehr trifft man den Spitz in seinen sämtlichen Varietäten überall an in unserem Vaterlande. Ich füge gleich hier hinzu, daß zurzeit jede Farbe gestattet ist. Mit Recht, denn eine derartige Engherzigkeit darf nicht die Basis abgeben für ein Urteil, ob der betreffende Hund als rasseecht anzusehen sei oder nicht. Ebenso darf nicht ein oder gar zu scharf begrentzes Maß für Größe oder Kleinheit etwaigen Ausschlag geben.

So wird auch der Zwergspitz jedem, der Sinn hat für die Schönheit dieser Rasse, willkommen sein. Vorausgesetzt natürlich, daß seine Züchtung nicht in alberne Spielerei ausartet, in dem man sich darauf verlegt, winzige Zwergunbolde ins Dasein zu bringen. In diesem Falle beharre ich bei dem, was ich in meinem Aufsatz über „Schoßhunde“ gesagt habe; ja sogar: jedes Wort das dort niedergeschrieben ist, sei doppelt unterstrichen.

Sieger Fritzle v. d. Wilhelmshöhe
Sieger Fritzle v. d. Wilhelmshöhe

Der Spitz hat seine Gegner – aber dafür wird auch manches gewichtige Wort zu seinem Gunsten gesprochen. So ist Strebel ein offensichtlicher Bewunderer dieser Rasse; er würdigt ihre Vorzüge in jeder Weise. Ganz im Gegenteil zu der ablehnenden Haltung, die Vero Shaw dem Spitz gegenüber einnimmt. Uebrigens stimmen diesem wohl kaum seine eigenen Landsleute in dieser Hinsicht zu. England zeichnet sich nämlich durch ebenso glückliche wie verständige Zucht des Spitzes geradezu aus.

Braune Zwergspitzhündin Mädle
Braune Zwergspitzhündin Mädle

Dort sin Hunde dieser Rasse zu sehen, auf die auch wir, wenn sie bei uns gezüchtet wären, durchaus stolz sein könnten. Nichtsdestoweniger wurde Vero Shaws Urteil gerade in Deutschland vielfach nachgebetet und heruntergeplärrt. Um so mehr muß anerkannt werden, daß sich Strebel in jeder Hinsicht von irgendeiner derartigen Beeinflussung freigehalten hat.

Desgleichen weiß Ströse vom Spitz nur Rühmenswertes zuberichten. Dieser Autor hebt als dessen Vorzüge ausdrücklich hervor „die angeborene Wachsamkeit und das Mißtrauen gegen Fremde; die kräftige Körperkonstitution; das lange dichte Haar, das ihn gegen Kälte und Nässe schützt und ein weiches Lager entbehrlich macht; die Anhänglichkeit an Haus und Hof“. Ich selber glaube in meinem „Buche von den Hunden“ (Verlag der „Tier-Börse“) dem Spitz gleichfalls gerecht geworden zu sein. Ebenso bin ich mir bewußt, während der zwei Jahrzehnte, da ich den Briefkasten dieser Zeitschrift redigierte, sowie in meiner weiteren redaktionellen und schrift-stellerischen Tätigkeit für diese Rasse schon oft-mals freudig und ohne jedes Zaudern eine Lanze gebrochen zu haben. Das soll auch künftig, wo es not tut, der Fall sein.
Nicht drei Zeilen des Lobes kann man jedoch niederschreiben, ohne daß man zugleich die Ver-pflichtung hätte, auch jenes Vereins rühmend zu gedenken, der auf deutschem Boden zurzeit die führende Hut über ihn gewonnen: des Vereins für deutsche Spitze, mit dem Sitz ehemals in Elberfeld, augenblicklich in Frankfurt am Main. Mit der Seele stehe ich diesem Klub eigentlich nahe, seit ich ihn kenne. Hin zog mich zuerst natürlich die Freude am Spitz; dem Verein selber, seinen Leitern und Mitgliedern, trat ich stets näher, seit ich die Ziele erkannt, die jenen vorschweben ihr rastloses Wirken; ihr oft so mühevolles Ringen; das vornehme, selbstlose Gebaren bei der Beurteilung interner Angelegenheiten. Wie bescheiden blieb man, wo man doch allen Grund hat, auf die Erfolge stolz zu sein, die man errungen! Was war der deutsche Spitz vor der Zeit, da dieser Klub ihn unter seine Fittige nahm, und was ist seither aus der Rasse geworden? Heute wird kein Mensch selbst nicht unter der Triebfeder argen Uebelwollens oder stumpfer Unwissenheit so leicht wagen, dem Spitz etwas am Zeuge zu flicken.
Die Rasse nimmt eben eine gesicherte Stellung ein innerhalb der deutschen Kynologie; und daß sie dies erreicht, das ist vornehmlich dem Verein zu danken, den ich eben mit Namen genannt. Was für Männer sind aber auch mit der Führung betraut! Wenn ich sie hier nicht genau aufzähle, so geschieht es nur deswegen, weil ich dann sofort daran diejenigen reihen müßte, die, obwohl ohne sichtliches Amt und benamste Würde, im Verein selber wirken und schaffen, züchten und aufziehen also die im Verborgenen blühen. Dazu die Opferfreudigkeit all dieser, wenn es sich darum handelt, in der Gesamtheit das Wohl der Rasse zu fördern, ihr öffentliches Ansehen bei einer Ausstellung auszubauen, kurz: den Verein zu stützen und zu fördern. Herbeiwünschen möchte ich freilich das ist mein engstes persönliches Anliegen einen möglichst intimen Zusammenschluß der beiden ja jetzt in der Mainstadt domizilierenden Spitzvereine. Ich kenne nicht, was beide trennt; aber ich weiß, was sie zusammenführen sollte: die Liebe zu der Rasse, die sie doch aus rein idealen Gründen unter ihre Obhut genommen haben, zu unserm so schmucken und klugen, so treuen und mutigen deutschen Spitz. Das würde bestimmt ein tüchtiger Vorwärtschritt zu dem Ziele sein, das zu erreichen zurzeit der Herzenswunsch weiter Kreise in unserm Vaterlande ist. Dies Ziel lautet – Zentralisation.


Quellenangabe

Kynologisches Jahrbuch, Silvester Frey, 1909 Berlin W. 59, Verlag Hermann Krüger



weitere Beiträge für dich

Language