Der Fuhrmannspitz

Ein Fuhrmann war in früheren Jahrhunderten für den Transport von Waren mit Pferdefuhrwerken zuständig – ein Beruf, der vor allem im ländlichen Raum und im regionalen Handel eine zentrale Rolle spielte – in ganz Europa. Um ihre wertvolle Fracht auch unterwegs vor Diebstahl zu schützen, setzten viele Fuhrleute auf die Unterstützung eines zuverlässigen Hundes: des sogenannten Fuhrmannspitzes. Dabei handelte es sich nicht um eine eigene Hunderasse, sondern oft um mittelgroße Spitze. Natürlich begleiteten auch andere Hunde die Fuhrwerke.
Die Hunde der Fuhrmänner zeichneten sich durch große Wachsamkeit, Ausdauer und eine enge Bindung an das Fuhrwerk aus. Sie begleiteten das Gespann auf langen Strecken, hielten sich bevorzugt in der Nähe des Wagens oder direkt darauf auf und verteidigten ihn lautstark gegen ungebetene Gäste. Durch ihre Präsenz trugen sie entscheidend zur Sicherheit von Mensch, Tier und Ware bei.

Neben anderen Hunden, fanden sich nicht selten kleine bis mittelgroße Spitze auf den Wägen und bewachten das Eigentum ihrer Herren während deren Abwesenheit, wodurch sie den Namen „Fuhrmannspitz“ erhielten. Auf den Bildern sind Kleinspitze und auch größere Spitze zu sehen, ähnlich dem heutigen Mittelspitz an Größe. Für den Alltag des Fuhrmanns war es praktisch einen Wächter für seine Ware, Wagen und Pferde zu haben. Zudem dienten die Hunde auch der Unterhaltung bei langen einsamen Fahrten:

„Dieser in seiner Art ebenfalls ganz vortreffliche Hund wird in vielen Gegenden Deutschlands, zumal in Thüringen, als Wächter auf Bauerhöfen zum Bewachen des Hauses und Hofes oder von Fuhrleuten als Hüter ihrer Wagen benutzt. Bei letzteren fehlt er wohl selten und übernimmt hier zugleich noch eine andere Rolle: er erheitert und erfreut durch sein munteres Wesen den in gleichmäßiger Weise seinen Tag verbringenden Mann bei dem schwierigen Geschäfte.“

„Weder im Gehöfte, noch auf dem Wagen kann er in Ruhe bleiben. Dort lockt ihn jeder Vorübergehende an die Straßenthüre, jedes ängstlich gackernde Huhn in den Hintergarten; hier setzt er mit geschickten Sprüngen von der Ladung auf den Bock, vom Bocke auf den Rücken des Pferdes, oder aber herab auf die Straße und von dieser wieder auf den Wagen.“ 1

Dieses Zitat von Brehm zeigt, dass wir es mit einem leicht gebauten, lebhaften und agilen Tier zu tun hatten. Zudem stets treu und unerschrocken an der Seite des Fuhrmanns, wozu eine starke Bindung erforderlich ist. Der Spitz, dem die Standorttreue (am Hofe) besonders nachgesagt wird, übertrug als Wagenbegleiter hier seinen Aufgabenbereich (mobiles Territorium) auf ein stetig „umher wanderndes“ Zuhause (die Fuhre mit Herrn und Pferde).

Ebenso unterstützt von dem Bericht Th. Hering:

„Die größere Varietät, der Bauern- oder Fuhrmannspitz (Pommer), (35 – 40 Zentimeter in Schulter hoch) wird jetzt freilich in ganz reinen Exemplaren selten getroffen, gleichwohl ist aber den meisten Spitzbastards das reizbare, empfindliche, unruhige und kläffige Wesen ihres Stammverwandten eigen. Durchgängig sind sie vorzügliche Wächter.“ 2

Definition statisches und mobiles Territorialverhalten

Statisches Territorium

Hunde definieren ihr unmittelbares Lebensumfeld – wie das Haus, das Grundstück, bestimmte Räume oder den Garten – häufig als ihr statisches Territorium. Innerhalb dieses Bereichs reagieren sie in der Regel aufmerksam auf Annäherungen durch unbekannte Menschen oder Tiere. Typisches Verhalten in solchen Situationen ist das (Ver-)Bellen oder Melden, insbesondere wenn die Annäherung als potenzielle Bedrohung wahrgenommen wird, dann kann auch gestellt 3 werden.


Mobiles Territorium

Einige Hunde zeigen ein ausgeprägteres Territorialverhalten, das sich nicht nur auf den festen Wohnbereich beschränkt. Sie betrachten auch regelmäßig aufgesuchte Orte als schützenswert, beispielsweise das Fahrzeug des Halters, die Wohnung vertrauter Personen oder sogar temporäre Aufenthaltsorte wie eine Parkbank. In diesen Fällen bewachen sie auch dort das Umfeld und reagieren bei Annäherung unbekannter oder verdächtiger Personen mit Meldung, (Ver-)bellen oder Stellen.
Dieses Verhalten ist bei vielen Rassen durch züchterische Selektion im Hinblick auf ihre ursprünglichen Aufgaben fest verankert. Besonders bei Arbeitshunden, etwa Herdenschutzhunden, ist diese Form der Revierverteidigung erwünscht und gezielt gefördert worden. Auch der Spitz zählt zu den Rassen, die ein ausgeprägtes mobiles Territorialverhalten zeigen. Er kann sich flexibel auf neue Umgebungen einstellen und nimmt seine Aufgabe als Wächter zuverlässig wahr.

Aus dem Alltag der Fuhrleute

„Der Transport per oder zur Fuhre oder Achse nimmt bekanntlich bei uns von Jahr zu Jahr an Bedeutung ab. Schon die Verbesserung so mancher Wasserstraßen wirkte früher darauf ein; in neuester Zeit hat aber die Ausbreitung der Eisenbahnen dem deutschen Frachtfuhrwesen einen Stoß gegeben, von welchem dasselbe sich nie wieder erholen wird. Trotz dessen hing noch bis in das erste Viertel dieses Jahrhunderts die Blüthe unsres Binnenverkehrs auf das Genaueste mit der guten Organisation des Fuhrwesens zusammen, welches Letztere auch vor Allem eine so bedeutende Rolle auf den Messen spielte.“ 4

„Die sogenannte Fuhrmannsstube in dem Wirthshause war die gewöhnliche Wirthsstube, die für andere Gäste, als Herrschaften, bestimmt war. Diese anderen Gäste waren meist Fuhrleute, daher der Name. Es war ein großes geräumiges Zimmer, mit vielen Tischen und Bänken und hölzernen Stühlen darin. Sie lag links am Hausflur und hatte der Eingangsthür gegenüber eine zweite Thür, durch die man unmittelbar in den daneben gelegenen Pferdestall gelangte. Die Fuhrleute mußten immer so nahe wie möglich bei ihren Pferden sein. Des Nachts schliefen sie sogar in dem Pferdestalle.“ 5

Stollwerck-Sammelbild (um 1915) gemalt, mit Wolfsspitz auf Fuhrwerk
Stollwerck-Sammelbild mit Wolfsspitz auf Fuhrwerk (ca. 1915)

Weinhandel als Wegbereiter – Die Verbreitung des Spitzes zwischen Deutschland und Italien

Durch den regen Weinhandel zwischen Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum kam es über Jahrhunderte hinweg nicht nur zu einem intensiven Austausch von Gütern, sondern auch von Tieren, die diesen Handel begleiteten. Besonders beim Transport von Weinfässern auf langen Strecken – etwa von Süddeutschland und Franken über den Brennerpass bis nach Norditalien – waren zuverlässige Zug- und Wachhunde unerlässlich.

Spitze begleiteten dabei häufig die Fuhrwerke, dienten als Bewacher der Ladung und blieben durch ihre Ortsbindung nah beim Gespann. Im Zuge dieser Handelsbewegungen verbreiteten sich Spitze weit über ihre Ursprungsregionen hinaus. Es darf angenommen werden, dass insbesondere diese Nutzung zur weiträumigen Verbreitung des Spitzes beitrug und seine Präsenz auch in Italien, Frankreich, den Niederlanden und darüber hinaus festigte. In Italien entwickelte sich parallel der Volpino italiano, der wie sein deutsches Gegenstück keine einheitliche Form, sondern eine Vielfalt regionaler Typen aufwies. Schriftliche Hinweise auf Hunde beim Warentransport finden sich u. a. in Fuhrwerksbeschreibungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sowie in historischen Abbildungen, etwa in den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums oder der Bibliothek des Museo Nazionale del Risorgimento in Turin.

Weinkarren mit einem Volpino Italiano – Rom

Vom Handelsnetz zur Nebenrolle – Der Fuhrmannspitz im Zeitalter des europäischen Fuhrwesens

Über mehrere Jahrhunderte hinweg prägten die Frammersbacher Fuhrleute (nähe Aschaffenburg) den Warenverkehr auf den wichtigsten Handelswegen Europas. Bereits ab etwa 1350 entwickelte sich aus jagdnahen Transportdiensten ein professionelles Fuhrwesen, das seinen wirtschaftlichen Höhepunkt zwischen 1501 und 1650 erreichte. In dieser Zeit besaßen die Frammersbacher Fuhrleute das Monopol auf den Strecken Antwerpen–Leipzig und Frankfurt–Nürnberg. Sie transportierten im Auftrag großer süddeutscher Handelshäuser wie der Fugger und Welser hochwertige Güter – etwa Seidenstoffe, Salz, Kupfer, Glas und Silberdraht – über weite Distanzen. Ihre Routen führten sie nicht nur in deutsche Handelszentren wie Nürnberg, Augsburg, Frankfurt und Leipzig, sondern auch in bedeutende europäische Städte wie Antwerpen, Brüssel, Wien, Prag, Königsberg, Triest und Genua. Zeitweise waren bis zu 500 Frachtwagen mit über 2.500 Zugpferden im Einsatz.

Pferdefuhrwerk mit großen Spitz und Windhund
Carl Friedrich Schulz Pferdefuhrwerk vor dem Gasthaus 1827

Auf diesen langen und oft gefährlichen Reisen war der Schutz der Waren von großer Bedeutung. Der Fuhrmannspitz – ein mittelgroßer, wachsamer Spitz – begleitete die Fuhrwerke, bewachte das Gespann und verteidigte es zuverlässig gegen Diebstahl. Seine Bindung an den Wagen sowie sein aufmerksames Wesen machten ihn zu einem unverzichtbaren Bestandteil des damaligen Fuhrmannsalltags. Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), den napoleonischen Feldzügen ab Ende des 18. Jahrhunderts sowie dem Aufkommen moderner Verkehrsmittel – insbesondere der Eisenbahn nach 1850 – verlor das traditionelle Fuhrgewerbe zunehmend an Bedeutung. Damit verschwand auch die spezifische Nutzung des Fuhrmannspitzes aus dem europäischen Handelsalltag.


Quellenangaben

  1. Brehms Thierleben. Erster Band Säugethiere. Alfred Brehm, Leipzig 1867 ↩︎
  2. Gallerie edler Hunde-Racen. Vollständiges Handbuch für jeden Jäger und Hundeliebhaber, Baron Nolde, Freiherr von Meyerinck (königl. preuß. Vize-Oberjägermeister) und Th. Hering ↩︎
  3. Der Hund „stellt“ bedeutet, dass er eine Person oder ein Tier anhält und nicht weitergehen lässt – oft durch Drohen, Bellen oder Blockieren des Weges. Dabei greift er meist nicht an, sondern will kontrollieren oder vertreiben. ↩︎
  4. Die Handelswissenschaft, theoretisch und praktisch dargestellt, Ludolph Schleier, Leipzig 1848 ↩︎
  5. Erzählungen von J. D. H. Temme; 3. Band, Flüchtlingsleben, Leipzig 1868 ↩︎



weitere Beiträge für dich

Language